[1977.
HUMANISMUS
UND
MENSCHENBILD
IMT
UND
IN
DER
ANTIKE
h.
28]
Konferenzvortr
ä
ge.
Herausgegeben
von
der
Sektion
Orient
-
und
Altertumswissenschaften
der
Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg.
Die
Entwicklung
weltlicher
Tendenzen
in
der
armenischen
Poesie
(10.
-
12.
Jahrhundert)
Das
10.
Jahrhundert
ist
f
ü
r
Armenien
als
ein
Jahrhundert
des
Aufschwungs
des
politisch-sozialen
Lebens
charakterisiert:
Die
Existenz
unabh
ä
ngiger
armenischer
F
ü
rstent
ü
mer,
die
Herausbildung
von
gro
ß
en
St
ä
dten
als
Ergebnis
der
Entwicklung
von
Handwerk
und
Handel,
begleitet
von
b
ä
uerlichen
Bewegungen
-
all
dies
trug
in
bedeutendem
Ma
ß
e
zu
einer
Belebung
des
gesellschaftlichen
Lebens
dieses
Landes
bei.
Naturgem
äß
mu
ß
ten
sich
diese
Erscheinungen
unmittelbar
in
den
verschiedenen
Bereichen
der
armenischen
Kultur
widerspiegeln
in
der
Ausbreitung
von
kl
ö
sterlichen
Lehrzentren,
in
der
Wiederaufnahme
der
Tradition
der
armenischen
Historiographie
des
5.
Jahrhunderts,
im
Fortschritt
der
exakten
Wissenschaften,
in
der
st
ü
rmischen
Entwicklung
der
armenischen
Architektur
und
nicht
zuletzt
im
Aufbl
ü
hen
der
sch
ö
nen
Literatur
und
Kunst.
Es
ist
vollkommen
verst
ä
ndlich,
da
ß
diese
kulturellen
Wandlungen
unter
der
Bedingung
einer
strengen
Kontrolle
seitens
der
herrschenden
Schichten
und
der
armenischen
Kirche
vor
sich
gingen,
und
da
ß
die
Kirche
nachdr
ü
cklich
auf
der
Unantastbarkeit
der
scholastischen
Dogmen
ihrer
Ideologie
beharrte
und
ihre
strengen
asketischen
Sitten
und
Gebr
ä
uche
verteidigte.
Jedwede
Abweichung
von
den
bestehenden
religi
ö
sen
Normen
und
Prinzipien,
jede
neue
Idee
und
Meinung
wurden
als
H
ä
resie
und
Sektierertum
angesehen.
Unter
jenen
neuen
Ideen
fand
in
dieser
Epoche
in
Armenien
die
h
ä
retische
Bewegung
der
Thondrakier
weite
Verbreitung,
die,
ä
hnlich
verwandten
sozialen
Bewegungen
im
Orient,
die
Frage
der
Besitzlosigkeit
aufwarf
und
zahlreiche
kirchliche
Satzungen
und
Zeremonien
verwarf.
Diese
Bewegung
m
ü
ndete
nicht
selten
in
Aufst
ä
nde.
Die
armenischen
Feudalherren
und
die
Kirche
f
ü
hrten
einen
unerbittlichen
Kampf
gegen
die
Thondrakier,
waren
jedoch
nicht
in
der
Lage,
die
Ausbreitung
dieser
Ideen
aufzuhalten,
die
im
weiteren
Verlauf
aus
Armenien
nach
Europa
drangen.
Die
neuen
Verh
ä
ltnisse,
die
sich
im
gesellschaftlichen
Leben
auspr
ä
gten,
wirkten
stark
anregend
auch
auf
die
Entwicklung
der
Literatur,
und
bereits
zu
Beginn
des
10.
Jh,.
begannen
in
der
armenischen
Literatur,
besonders
in
der
Dichtkunst,
weltliche
Tendenzen
in
Erscheinung
zu
treten.
Sie
traten
vor
allem
in
der
Sph
ä
re
der
geistlichen
Dichtung
zutage,
in
den
Versuchen,
zu
ihrem
Inhalt
die
Suche
nach
Wegen
zur
geistigen
Errettung
des
Menschen,
die
Umwertung
der
Begriffe
der
menschlichen
W
ü
rde
und
der
F
ä
higkeiten
des
Verstandes,
das
reale
Leben
und
die
Sch
ö
nheit
der
Natur
zu
machen.
In
der
Epoche
des
Mittelalters
irrte
der
gl
ä
ubige
Mensch
umher;
wenn
er
versuchte,
Licht
auf
das
komplizierte
Wechselverh
ä
ltnis
zwischen
Gott
und
Mensch,
Irdischem
und
Himmlischem,
Geistigen
und
K
ö
rperlichem
zu
werfen,
so
stie
ß
er
mit
den
verworrenen
Deutungen
des
religi
ö
sen
Denkens
jener
Zeit
zusammen;
da
er
infolge
von
R
ü
ckst
ä
ndigkeit
und
Beschr
ä
nkung
keinen
Ausweg
fand,
verfiel
er
einem
tiefen
Pessimismus
und
klammerte
sich
an
die
Ideale
einer
allm
ä
chtigen
Gottheit
und
der
Ewigkeit
des
jenseitigen
Lebens.
Jedoch
gerade
im
Verlaufe
dieser
Zusammenst
öß
e
st
ü
rzten
h
ä
ufig
viele
seiner
religiosen
Ü
berzeugungen
ein,
und
Elemente
einer
profanen
Weltanschauung
drangen
in
das
klerikale
Milieu
ein
und
von
dort
aus
auch
in
die
Literatur.
Grigor
Nareka
ç
i,
ein
Dichter
des
10.
Jh.,
war
der
erste
in
der
armenischen
Literatur,
der
die
Begrenztheit
der
herrschenden
geistlichen
Dichtung,
ihre
erstarrten,
durch
die
kirchlichen
Normen
geheiligten
Formen
ü
berwand,
eine
subjektive
Lyrik
schafft
und
dadurch
den
Aufschwung
der
armenischen
Dichtkunst
bestimmt
hat.
Nareka
ç
i
war
der
erste
Dichter
in
der
armenischen
Literatur,
der
die
menschliche
Pers
ö
nlichkeit
besungen
hat,
ihre
seelische
Ersch
ü
tterung,
Leiden
und
Unruhen,
und,
begeistert
f
ü
r
die
Natur,
die
Sch
ö
nheit
der
Welt
gepriesen
hat.
Nareka
ç
i
ist
ein
gl
ä
ubiger
Mensch,
ein
echter
Vertreter
seines
Jahrhunderts
und
seiner
Klasse.
Die
h
ö
chste
allm
ä
chtige
Kraft
ist
f
ü
r
ihn
Gott,
der
Allgewaltige
und
Unbegreifliche,
dessen
"unvergleichlicher
Barmherzigkeit"
und
"gerechter
Hand"
er
seine
s
ü
ndhafte
Seele
anvertraut,
jene
Seele,
die
die
innere
Welt
seiner
Zeitgenossen
widerspiegelt,
aller
Christen,
vom
Kleinsten
bis
zum
Gr
öß
ten,
der
S
ü
nder
und
der
Gerechten,
der
Knechte
und
der
Sklaven,
ja
auch
der
"stolzen
Machthaber".
Und
der
gro
ß
e
Humanist
ruft
aus:
"Die
Sammlung
dieser
Lieder,
von
denen
jeder
Vers
gef
ü
llt
ist
bis
zum
Rand
mit
schwarzer
Trauer,
verfa
ß
te
ich,
der
ich
des
Menschen
Leidenschaften
kenne,
da
ich
selbst
sie
in
mir
tadle.
"
Gewi
ß
ist
das
noch
keine
weltliche
Dichtung
im
strengen
Sinne
des
Wortes
-
weder
der
Dichter
noch
seine
Zeit
waren
daf
ü
r
reif.
Nareka
ç
i
nimmt,
obwohl
er
im
Rahmen
einer
rein
subjektiven
Lyrik
verbleibt,
den
Schmerz,
an
dem
die
Gesellschaft
leidet,
mit
allen
Fasern
seiner
Seele
wahr,
und
indem
er
sich
selbst
anprangert
und
erniedrigt,
sucht
er
Wege
zur
Rettung
des
Menschen
der
Feudalgesellschaft.
Namentlich
zu
diesem
Zweck
schuf
er
das
"Buch
der
gramvollen
geistlichen
Ges
ä
nge",
damit
es
die
seelischen
und
k
ö
rperlichen
Gebrechen
der
g
ö
ttlichen
Gesch
ö
pfe
heile.
Und
der
Dichter
vertraut
sich
mit
seinem
ganzen
Wesen
der
Idee
des
Menschen
und
der
Menschlichkeit
an,
der
Gerechtigkeit,
indem
er
danach
strebt,
sich
mit
der
Gottheit
zu
vereinen.
Nachdem
Nareka
ç
i
bereits
einmal
die
scholastischen
Traditionen
der
Dichtung
verletzt
hat
und
von
ihm
der
unter
der
schweren
Last
der
"Erbs
ü
nde"
gebeugte
Mensch
besungen
wurde,
wagt
es
der
Dichter,
in
ihm
eine
g
ö
ttliche
Kraft
zu
erblicken,
indem
er
zum
Wortf
ü
hrer
der
Gef
ü
hle
der
gesamten
leidenden
Menschheit
wird
und
sich
nicht
mehr
f
ü
rchtet,
seine
Begeisterung
f
ü
r
die
Herrlichkeiten
der
von
Gott
geschaffenen
Natur
zum
Ausdruck
zu
bringen
-
er
ist
nicht
mehr
der
rauhe
asketische
Mönch,
sondern
ein
Mensch,
der
trunken
ist
von
unendlich
vielen
Farben,
wohlriechenden
Rosen,
murmelnden
und
lieblichen
B
ä
chen.
Und
Nareka
ç
i
verfa
ß
t
Lieder,
die
ungeachtet
ihrer
ä
u
ß
eren
religi
ö
sen
H
ü
lle
tats
ä
chlich
ein
wunderbarer
Hymnus
auf
die
Natur
sind
-
ein
Hymnus,
in
dem
das
Herz
des
von
der
Liebe
zur
Natur
erf
ü
llten
Dichters
schl
ä
gt:
"Die
diamantene
Rose
nahm
ihren
Glanz
von
der
Leuchte
des
Tages,
als
sie
lautlos
versank
in
den
unendlichen
Meerespiegel.
Es
schien,
als
ob
die
göttliche
Blüte
sich
über
der
Meeresweite
entfalte,
es
schien,
als
ob
über
ihr
ergl
ä
nzte
eine
reife
safranfarbene
Frucht.
"
Wahrscheinlich
gaben
derartige
Lieder
Nareka
ç
is
den
Vorwand
f
ü
r
Verd
ä
chti-
gungen,
er
sei
ein
H
ä
retiker,
In
einer
der
Quellen
hei
ß
t
es:
"Da
er
alles
daransetzte,
die
kirchliche
Ordnung,
die
in
Verfall
geraten
war,
zu
verbes-
sern,
begannen
einige
Leute
über
ihn
vor
den
Bisch
ö
fen
und
F
ü
rsten
zu
l
ä
stern,
und
bezeichneten
die
Wahrhelten
dieses
Lehrers
als
nachl
ä
ssig
im
Glauben
und
h
ä
retisch.
"
W
ä
hrend
Nareka
ç
i
die
reale
Welt
und
den
Menschen
im
allgemeinen
w
ü
rdigte,
so
preist
der
wenig
sp
ä
ter,
am
Anfang
des
11.
Jh.
wirkende
Vardan
Ane
ç
i
in
einer
von
ihm
ü
ber
ein
religi
ö
ses
Thema
verfa
ß
ten
Ode
(
ü
brigens
sein
einziges
erhaltenes
Werk)
schon
konkret
den
Menschen
als
Sch
ö
pfer,
seinen
Verstand,
seine
Kraft
und
seine
Weisheit:
"O
du,
geflügelter
Mensch,
an
Gestalt
und
Vernunft
geschaffen
gleich
mir!
Und
Kraft
und
Weisheit
habe
ich
hineingelegt
in
die
Züge
deines
Angesichts
und
in
das
gekrönte
Haupt
und
in
deinen
Genius,
unbestreitbar,
In
deine
fr
ü
chtebringende
Vernunft,
die
ohne
Mangel.
"
Vardan
Ane
ç
i
scheut
sich
nicht,
in
seine
Ode
Bilder
aus
dem
Alltagsleben
des
arbeitenden
Bauern
einzubeziehen.
Das
macht
sein
Werk
noch
greifbarer
und
anschaulicher,
f
ü
r
die
Wahrnehmung
leichter
zug
ä
nglich
und
vermittelt
ihr
den
Hauch
der
Poesie.
Die
Befreiung
der
armenischen
Dichtung
von
den
einengenden
Wegen
der
Religion
wurde
in
bedeutendem
Ma
ß
e
gef
ö
rdert
durch
die
Volkskunst,
deren
ü
beraus
reichen
Quellen
sich
die
armenischen
Dichter
dieser
Periode
zuzuwenden
beginnen.
Grigor
Narekaçi
war
einer
der
ersten,
der
einzelne
Formen
der
armenischen
Volkslieder
aufgriff.
Zu
den
gr
öß
ten
Denkern
und
Staatsm
ä
nnern
der
ersten
H
ä
lfte
des
11.
Jh.
geh
ö
rt
Grigor
Magistros
Pahlavuni.
Ü
beraus
bewandert
sowohl
in
der
griechischen
Literatur
als
auch
in
der
Literatur
der
V
ö
lker
des
Vorderen
Orients,
sch
ä
tzte
er
die
Kunst
der
armenischen
Volkss
ä
nger
(Gusanen)
hoch;
ihre
ä
ltesten
Textproben
waren
bereits
im
5.
Jh.
durch
den
Vater
der
armenischen
Geschichtsschreibung,
Moses
Chorena
ç
i,
aufgezeichnet
worden.
Die
altarmenische
gusanische
Kunst,
die
vollst
ä
ndig
weltlich
war
und
unabh
ä
ngig
von
der
offiziellen
Literatur
fortlebte
und
bis
in
unsere
Zeit
gelangte,
befand
sich
zur
Zeit
des
Magistros
auf
einem
so
hohen
Niveau,
da
ß
der
ber
ü
hmte
Gelehrte
und
Dichter
-
im
Gegensatz
zur
ablehnenden
Haltung
der
Kirche
-
sie
h
ö
her
einschätzte
als
die
griechische
Poesie
dieser
Zeit,
"Alle
Seufzer
und
Lieder
der
Gusanen",
schrieb
Grigor
Magistros,
"die
heutzutage
bei
den
Armeniern
vorhanden
sind,
achten
wir
h
ö
her
als
de
griechischen,
da
das
bei
ihnen
ausgewogene
Verh
ä
ltnis
von
Inhalt
und
Form
sie
zu
auserlesenen,
nicht
leicht
zu
verstehenden
und
wunderbaren
Liedern
macht".
Nach
einer
derartigen
Einsch
ä
tzung
wird
deutlich,
warum
Magistros
in
einzelnen
F
ä
llen
in
seinen
"Briefen"
Angaben
der
armenischen
und
persischen
Volkskunst
zitiert
und
sogar
nach
dem
Muster
der
armenischen
epischen
Ges
ä
nge
den
armenischen
Heerf
ü
hrer
verherrlicht,
der
heroisch
in
der
Schlacht
mit
den
Horden
der
Seldschuken
gefallen
ist.
Die
M
ö
glichkeiten,
die
die
geistlichen
Dichtungen
boten,
waren
viel
zu
begrenzt
f
ü
r
den
Lobgesang
auf
den
kriegerischen
Geist
des
um
seine
Existenz
k
ä
mpfenden
Volkes,
seinen
Heldenmut,
und
deshalb
wandte
sich
Magistros
dem
epischen
Stil
der
Folklore
zu.
Der
von
Magistros
besungene
Held
erscheint
nicht
als
"s
ü
ndhafter,
ohnm
ä
chtiger"
Mensch,
der
seine
Hand
zu
Gott
ausstreckt,
sondern
als
wirkliche
Persönlichkeit,
als
Patriot
und
rechtschaffener
Mensch,
gerecht
und
human,
er
hilft
den
Waisen
und
Witwen,
rettet
das
Leben
der
Gefangenen,
befreit
die
Eingekerkerten,
f
ü
hrt
einen
unbeugsamen
Kampf
gegen
den
Feind
und
geht
heldenhaft
zugrunde.
Der
Proze
ß
der
Losl
ö
sung
der
armenischen
Literatur
von
der
religi
ö
sen
Gebundenheit
im
11.
Jh.
verz
ö
gerte
sich
ein
wenig
infolge
der
ung
ü
nstigen
politischen
Verh
ä
ltnisse,
ist
jedoch
nicht
v
ö
llig
zum
Stillstand
gekommen.
An
der
Schwelle
vom
11.
zum
12.
Jh.
begegnen
wir
bereits
einem
solchen
in
Versform
gefa
ß
ten
Werk,
das
von
den
Themen
der
Evangelien
vollst
ä
ndig
entfernt
ist.
Dies
ist
das
Poem
von
Ovannes
Imastaser
(gest.
1129),
in
dem
das
Problem
der
Entstehung
von
Poesie
und
Musik
betrachtet
wird.
Das
war
f
ü
r
jene
Zeit
ein
wesentliches
Problem.
V
ö
llig
neu
war
auch
die
Struktur
des
philosophischen
Poems.
Der
Dichter
hat
sich
hier
der
Dialogform
zugewandt;
die
Akteure
sind
der
Dichter
selbst
und
der
Star.
Der
Star
erscheint
als
die
Verk
ö
rperung
der
Natur,
ihr
vollkommenes
Werk,
von
dem
der
Mensch
lernen
und
dem
er
sich
angleichen
mu
ß.
Die
Dichtung
mu
ß
eine
Widerspiegelung
der
Natur
sein.
Dieses
pantheistische
Weltverst
ä
ndnis
zeugt
von
dem
vollst
ä
ndigen
Sieg
des
weltlichen
Prinzips
in
der
armenischen
Literatur.
Gewi
ß,
in
den
folgenden
Jahrhunderten
bl
ü
hte
auch
die
armenische
geistliche
Dichtung,
jedoch
war
diese
nicht
mehr
das
asketische
Lied
der
fr
ü
heren
Periode,
sondern
eine
realistische
Wiedergabe
des
Lebens,
nur
dein
Ä
u
ß
eren
nach
die
verschleierte,
begrenzte
religi
ö
se
Weltanschauung
der
Gl
ä
ubigen.
Auf
dem
Wege,
der
von
Grigor
Nareka
ç
i
gewiesen
worden
war,
ging
auch
der
gro
ß
e
Dichter
des
12.
Jh.
Nerses
Schnorhali
(gest.
1172).
Zu
seiner
Zeit
hatte
die
armenische
Literatur
bereits
einen
erheblichen
Fortschritt
gemacht
und
neue
Traditionen
geschaffen,
die
Schnorhali
selbst
mit
gro
ß
er
Meisterschaft
weiterentwickelte,
indem
er
eine
neue
Seite
in
der
armenischen
Dichtkunst
aufschlug.
Seine
dichterische
Sprache
tr
ä
gt
nicht
den
Stempel
des
komplizierten
und
verwickelten
Denkens
der
vorhergehenden
Periode,
sie
ist
klar
und
sehr
fa
ß
lich
und
verfolgt
gleichzeitig
praktische
Ziele:
zur
Aufkl
ä
rung
des
Volkes
beizutragen,
Patriotismus
und
Ergebenheit
gegen
ü
ber
dem
Glauben
anzuerziehen.
Schnorhali,
der
eine
der
vielseitigst
entwickelten
Pers
ö
nlichkeiten
seines
Zeitalters
ist
und
an
der
Spitze
der
armenischen
Kirche
steht,
befand
sich
stets
im
Zentrum
des
politisch-gesellschaftlichen
Lebens
des
Nahen
und
Mittleren
Ostens
und
f
ö
rderte
durch
seine
gesamte
T
ä
tigkeit
die
Festigung
des
neu
geschaffenen
Kilikisch-armenischen
Staates.
Nerses
Schnorhali
sah
die
Sch
ö
nheit
der
Kunst
im
Gefolge
des
realen
Lebens,
in
der
Natur,
er
verschm
ä
hte
auch
nicht
das
k
ü
nstlerische
Schaffen
des
Volkes,
aus
dem
er
einzelne
Genres
in
die
offizielle
Literatur
einbezog,
er
entwickelte
die
armenische
Verskunst
und
wurde
faktisch
zum
eigentlichen
Wegbereiter
des
armenischen
Reimverses.
Gewi
ß,
Grigor
Nareka
ç
i
und
Grigor
Magistros
verfa
ß
ten
schon
vor
ihm
Reimverse,
jedoch
namentlich
Schnorhali
wandte
sie
durchg
ä
ngig
und
sehr
kunstfertig
in
seinen
Werken
an,
wobei
er
neue
Wege
f
ü
r
die
nachfolgende
Entwicklung
in
der
armenischen
sch
ö
nen
Literatur
bahnte.
Bedeutend
ist
der
Beitrag
Nerses
Schnorhalis
auf
dem
Gebiet
der
Entwicklung
der
armenischen
Scharakane,
der
geistlichen
Ges
ä
nge.
Wenn
in
der
Vergangenheit
die
Thematik
dieser
Gattung
der
geistlichen
Lieder
streng
begrenzt
war,
so
wurde
sie
durch
Schnorhali
nicht
nur
durch
martyriologische
und
dogmatische,
sondern
auch
durch
weltliche
und
patriotische
Themen
bereichert.
In
die
geistlichen
Lieder
gingen
die
Gestalten
bekannter
Pers
ö
nlichkeiten
ein,
die
sich
im
Kampf
um
die
Selbst
ä
ndigkeit
der
armenischen
Kirche
und
um
die
Unabh
ä
ngigkeit
der
Heimat
eingesetzt
hatten.
Diese
Lieder
wurden
in
der
Folgezeit,
da
ein
armenischer
Staat
nicht
existierte,
zu
einer
jener
scharfen
Waffen,
die
das
armenische
Volk
geistig
st
ä
rkten
und
ihm
die
M
ö
glichkeit
gaben,
um
seine
Existenz
und
Kultur
zu
k
ä
mpfen.
Schnorhali
f
ü
hrt
in
die
armenische
Literatur
die
Gattung
des
umfassenden
historischen
Poems
ein,
durch
die
er
die
armenische
Poesie
auf
eine
neue
Stufe
hob.
Eines
seiner
besten
Werke
über
ein
historisch-patriotisches
Thema
ist
das
Poem,
das
dem
Fall
der
Stadt
Edessa
(Nordmesopotamien)
gewidmet
ist.
Der
Dichter
gab
ihm
den
Titel
"Klage
um
Edessa".
Mehr
als
2000
Zeilen
umfassend
tr
ä
gt
dieses
Werk
v
ö
llig
weltlichen
Charakter
und
ist
durchdrungen
von
gl
ü
hhendem
patriotischen
und
humanistischen
Geist.
Die
realistische
Feder
des
Dichters
zeichnet
in
reichhaltigen
und
markanten
Bildern
bl
ü
hende
und
wohlgeordnete
St
ä
dte,
ihr
allt
ä
gliches
Leben,
ihre
nat
ü
rlichen
und
architektonischen
Sch
ö
nheiten.
Der
Autor
beweint
mit
den
Lippen
einer
verlassenen
Mutter
(in
der
Gestalt
Edessas)
den
Verlust
ihres
und
ihrer
Kinder
einst
gl
ü
cklichen
Lebens.
"O,
ich
war
an
einem
heiteren
Tag
Königin
in
goldenem
Gewand,
Haine
von
dunklem
Saum,
Blattwerk
von
üppigen
Fransen
verzierten
es
einst
ringsum.
Und
die
Mauern,
im
Wettstreit
mit
der
Höhe,
hoben
Türme
über
sich
empor.
O
wo
seid
ihr,
alle
meine
Angehörigen,
Zehntausende
von
Söhnen,
Zehntausende
von
Töchtern?
Ihr
-
die
ihr
einstmals
vor
mir
tanztet,
Ihr-
Rosen,
die
im
Frühling
blühten,
Ihr-
reichen
Apfelbaumes
Früchte,
Ihr
-
mein
dichtbepflanzter
Weinberg,
Ihr-
meines
Weinstocks
Schößlinge
-
Mein
süßer
Garten,
du
mein
goldener ...
"
Schweren
Herzens
hat
der
Dichter
die
Ver
ö
dung
der
einst
wohlgeordneten
St
ä
dte
erlebt,
den
Untergang
der
pr
ä
chtigen
Tempel
und
Pal
ä
ste
unter
den
Schl
ä
gen
der
Barbaren,
die
Ausrottung
Tausender
unschuldiger
Menschen.
All
das
wird
in
dem
Poem
mit
grenzenloser
Bitternis
und
Herzweh
beschrieben.
Jedoch
beschr
ä
nkt
sich
Schnorhali
nicht
auf
diese
Beschreibungen,
im
gleichen
Atemzug
r
ü
hmt
er
die
Selbstverleugnung
und
den
Heroismus
der
mit
dem
Feind
K
ä
mpfenden,
ihre
Einigkeit
und
Entschlossenheit,
dem
Feind
keinen
Fu
ß
breit
Boden,
sogar
um
den
Preis
des
Lebens,
zu
tiberlassen.
Nur
eine
Antwort
gibt
es
gegen
ü
ber
dem
Feind:
"Gegen
das
Schwert
-
das
Schwert,
gegen
das
Feuer
-
Feuer",
gleich
den
V
ä
tern
gilt
es
zu
k
ä
mpfen
-
hier
ist
bereits
der
Widerhall
der
gefl
ü
gelten
Worte
des
armenischen
Historikers
des
5.
Jh.,
Elis
ä
us,
zu
vernehmen:
"In
bewu
ß
ter
Aufopferung
sterben
ist
Unsterblichkeit".
"Bruder
schrecke
nicht
zur
ü
ck!
Sei
stolz
und
k
ü
hn!
Verletze
nicht
die
heil'gen
Bande,
aber
den
guten
Namen
bewahre
und
unseren
innigen
Bruderbund,
damit
nach.
Tag'
und
Jahren
noch
deiner
Taten
ganzer
Ruhm
inmitten
der
V
ö
lker
der
Erde
lebe.
"
Es
mutet
an,
als
ob
die
Stimme
eines
Menschen
unserer
Tage
gegen
die
Kr
ä
fte
des
B
ö
sen
und
der
Gewalt
ert
ö
nt.
Der
Humanismus
des
Dichters
erreicht
in
diesem
Werk
seinen
Gipfel.
Unter
den
schweren
Schl
ä
gen
des
Schicksals
1
äß
t
er
den
Mut
nicht
sinken,
er
weicht
nicht
voll
kl
ä
glichen
Jammers
um
die
Niederlage
zur
ü
ck,
er
gibt
kein
trauriges
und
hoffnungsloses
Jammern
von
sich
und
vertraut
nicht
auf
die
Barmherzigkeit
des
Allm
ä
chtigen.
Das
Poem
endet
in
zuversichtlichem
Glauben
an
den
Sieg.
Schnorhali
ist
gewi
ß,
da
ß
die
Leiden
vergehen
und
ein
Ende
haben
m
ü
ssen
und
der
Mensch
eines
friedlichen
und
gl
ü
cklichen
Lebens
w
ü
rdig
ist.
Das
Werk
Schnorhalis
verk
ü
ndet
den
Sieg
des
weltlichen
Prinzips
in
der
armenischen
Literatur.